Der Begriff „doketisch“ bezieht sich auf eine spezifische theologische Ansicht in der frühen christlichen und gnostischen Theologie, die als „Doketismus“ bekannt ist. Hier sind die wesentlichen Punkte und Bedeutungen des Doketismus:

Definition und Herkunft

  • Wortherkunft: Das Wort „Doketismus“ kommt vom griechischen Wort „dokein“ (δοκεῖν), das „scheinen“ oder „erscheinen“ bedeutet.
  • Grundprinzip: Der Doketismus lehrt, dass Jesus Christus keinen echten physischen Körper hatte, sondern nur einen scheinbaren oder illusorischen Körper. Infolgedessen litt er nicht wirklich körperlich und starb auch nicht tatsächlich am Kreuz.

Theologische Hauptpunkte

  • Scheinbarkeit des Körpers: Nach doketischer Auffassung erschien Jesus nur als Mensch, hatte aber keine tatsächliche menschliche Natur. Seine physischen Leiden und sein Tod waren nur scheinbar, nicht real.
  • Geistige Reinheit: Der Grund für diese Ansicht liegt oft in der Vorstellung, dass das Göttliche und das Reine nicht mit der materiellen und unvollkommenen Welt in Berührung kommen können. Daher konnte Jesus, als göttliches Wesen, nicht wirklich einen materiellen Körper haben oder körperlich leiden.

Historische und religiöse Kontexte

  • Frühes Christentum: Der Doketismus war eine der frühen christologischen Häresien (abweichende Lehren), die in den ersten Jahrhunderten des Christentums auftauchten.
  • Gnostische Einflüsse: Viele gnostische Sekten vertraten doketische Ansichten, da sie die materielle Welt als minderwertig oder böse ansahen und nicht glaubten, dass ein göttliches Wesen wirklich in der physischen Welt präsent sein könnte.

Reaktionen und Ablehnungen

  • Orthodoxe Ablehnung: Die doketische Lehre wurde von den frühen Kirchenvätern und den ökumenischen Konzilien entschieden abgelehnt. Die orthodoxe christliche Lehre betont die volle Menschlichkeit und Göttlichkeit Jesu Christi, einschließlich seiner wirklichen Geburt, seines Leidens und seines Todes.
  • Wichtige Gegenargumente: Kirchenväter wie Ignatius von Antiochien, Irenäus von Lyon und Tertullian argumentierten gegen den Doketismus und betonten die Bedeutung des realen körperlichen Leidens und Sterbens Jesu für das Heilsgeschehen.

Schlüsseltexte und Beispiele

  • Ignatius von Antiochien: Einer der frühesten und prominentesten Gegner des Doketismus. In seinen Briefen betonte er die reale Menschlichkeit Jesu und seine tatsächlichen Leiden und Sterben.
  • Johannesevangelium: Einige Passagen im Neuen Testament, insbesondere im Johannesevangelium (z.B. Johannes 1:14: „Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns“), wurden als Beweise gegen den Doketismus herangezogen.

Texstellen aus den Nag Hammadi Schriften

1. Das Apokryphon des Johannes

Dieses Werk bietet eine umfassende gnostische Kosmogonie und Anthropologie. Es stellt den Schöpfergott (Demiurg) als einen niederen Gott dar und spricht von Jesus als einer göttlichen Emanation.

2. Das Evangelium der Wahrheit

Das Evangelium der Wahrheit betont die Rolle Jesu als Bringer der Gnosis und erwähnt, dass seine Erscheinung in der materiellen Welt von geistiger Natur ist, was eine doketische Sichtweise unterstützen kann.

3. Das Evangelium der Ägypter

Auch bekannt als „Das heilige Buch des Großen Unsichtbaren Geistes“, enthält dieses Werk Passagen, die nahelegen, dass Jesus eher als geistige Erscheinung denn als körperlicher Mensch auftritt.

4. Das Evangelium des Philippus

Hier findet sich eine Vielzahl von Aussagen über Jesus und die materielle Welt. Es enthält Hinweise darauf, dass das Leiden und die Auferstehung Jesu in einem spirituellen Kontext verstanden werden sollen, was auf doketische Ideen hindeuten kann.

5. Der zweite Logos des großen Seth

In diesem Text gibt es eine starke Betonung auf die Illusion der physischen Realität und die wahre geistige Natur Jesu. Eine Passage beschreibt, wie Jesus sagt, dass er nicht wirklich gelitten hat:

  • Zitat: „Es war ein anderer, der trank den Galle- und Essigtrank; nicht ich. Sie schlugen mich mit dem Rohr; ein anderer, Simon, trug das Kreuz auf seinen Schultern. Es war ein anderer, der gekrönt wurde. Ich jubelte in der Höhe über all den Reichtum des Archonten und über die Fehler ihrer Herrlichkeit und deren Verdrehung.“

6. Die Pistis Sophia

Dieses Werk enthält auch doketische Elemente und beschreibt die spirituellen Ebenen und die Rolle Jesu als Lehrer und Retter in einem Kontext, der die materielle Welt als weniger wichtig betrachtet.

Zusammenfassung

Der Doketismus ist eine theologische Lehre, die besagt, dass Jesus Christus keinen echten physischen Körper hatte und seine Leiden und sein Tod nur scheinbar waren. Diese Ansicht steht im Gegensatz zur orthodoxen christlichen Lehre, die sowohl die volle Menschlichkeit als auch die Göttlichkeit Jesu Christi betont. Der Doketismus war besonders in gnostischen Kreisen verbreitet und wurde von den frühen Kirchenvätern und ökumenischen Konzilien als Häresie abgelehnt. Die Argumente für diese Ablehnung waren aber eher schwach.