Das Buch „Das Wesen der Archonten“ (auch bekannt als „Über das Wesen der Archonten“) ist ein gnostischer Text aus der Nag-Hammadi-Bibliothek, einer Sammlung frühchristlicher und gnostischer Schriften, die 1945 in Ägypten entdeckt wurden. In diesem Text wird die Schöpfungsgeschichte von Adam und Eva anders dargestellt als in der traditionellen jüdisch-christlichen Bibel.

Die Schöpfung der Welt und der Archonten

  1. Die Ursprungsgeschichte: Im gnostischen Glauben existiert eine höhere göttliche Ebene, die Pleroma, in der das göttliche Wesen, oft als das Unsichtbare oder die Lichtquelle bezeichnet, wohnt. Von diesem Ursprung geht eine Reihe von Emanationen aus, die die göttlichen Eigenschaften und Kräfte darstellen.
  2. Sophia und der Fall: Eine dieser Emanationen, Sophia (Weisheit), begeht einen Fehler, indem sie ohne ihren göttlichen Partner eine Handlung durchführt. Dies führt zur Entstehung einer niedrigeren und unvollkommenen Entität, Yaldabaoth, auch bekannt als der Demiurg.
  3. Yaldabaoth und die Archonten: Yaldabaoth, unwissend über seine wahre Herkunft, beginnt, die materielle Welt zu erschaffen. Er erzeugt die Archonten, niedere geistige Wesen, die ihm bei der Verwaltung der physischen Welt helfen. Yaldabaoth beansprucht für sich, der einzige Gott zu sein, und ignoriert die höhere göttliche Realität.

Die Schöpfung von Adam und Eva

  1. Erschaffung des Menschen: Yaldabaoth und die Archonten beschließen, einen Menschen nach ihrem Bild zu schaffen. Sie formen Adam aus den vier Elementen, aber er bleibt leblos. Sophia und andere göttliche Wesen erkennen das Potential Adams und gewähren ihm einen göttlichen Funken, wodurch er lebendig wird und eine göttliche Seele erhält.
  2. Adams Erleuchtung: Durch diesen göttlichen Funken übersteigt Adam die Archonten in seiner Weisheit und seinem Bewusstsein. Die Archonten werden neidisch und versuchen, seine Macht zu unterdrücken.
  3. Erschaffung von Eva: Die Archonten erschaffen Eva, um Adam zu täuschen und unter Kontrolle zu halten. Doch auch Eva erhält einen göttlichen Funken und wird sich ihrer wahren Natur bewusst.

Der Fall und die Erkenntnis

  1. Der Garten Eden und die Schlange: Der Garten Eden wird von den Archonten als paradiesischer Ort geschaffen, um Adam und Eva zu halten. Die Schlange, oft als Verkörperung der Weisheit oder ein Agent der höheren göttlichen Mächte angesehen, offenbart Adam und Eva die Wahrheit über ihre göttliche Herkunft und die wahre Natur der Archonten.
  2. Der Sündenfall: Durch die Erkenntnis (Gnosis) erkennen Adam und Eva ihre wahre göttliche Natur und die Illusion der physischen Welt, die von den Archonten geschaffen wurde. Dies wird als der wahre „Sündenfall“ interpretiert, bei dem sie sich von den falschen Göttern abwenden und ihre göttliche Herkunft annehmen.

Die Schöpfungsgeschichte in der Genesis und die Version aus dem Buch „Das Wesen der Archonten“ bieten zwei unterschiedliche Perspektiven auf den Ursprung der Menschheit.

Schöpfer und ihre Motivation:

  • Genesis (Bibel): Gott ist der alleinige und allmächtige Schöpfer. Er schafft die Welt und die Menschen aus Liebe und in seinem Bild, und alles wird als „gut“ angesehen.
  • Das Wesen der Archonten: Die Welt wird von Yaldabaoth und den Archonten geschaffen, die als niedere und unvollkommene Wesen betrachtet werden. Yaldabaoth ist unwissend über die höhere göttliche Ebene und behauptet fälschlicherweise, der einzige Gott zu sein.

Natur und Rolle der Schlange:

  • Genesis (Bibel): Die Schlange wird als Verführer dargestellt, der Eva dazu bringt, vom verbotenen Baum zu essen, was als Sünde betrachtet wird und zur Vertreibung aus dem Paradies führt.
  • Das Wesen der Archonten: Die Schlange wird oft als positive Figur gesehen, die Adam und Eva zur Erkenntnis (Gnosis) führt und ihnen ihre wahre göttliche Natur offenbart.

Ursprung und Natur des Menschen:

  • Genesis (Bibel): Adam wird direkt von Gott aus dem Staub der Erde geschaffen und Eva aus einer seiner Rippen. Beide sind von Anfang an im Bild Gottes geschaffen und leben in einem Zustand der Unschuld bis zum Sündenfall.
  • Das Wesen der Archonten: Adam wird von den Archonten aus den vier Elementen geschaffen und bleibt leblos, bis er einen göttlichen Funken von Sophia erhält. Eva wird ebenfalls mit einem göttlichen Funken belebt und wird zur Erkenntnis ihrer wahren göttlichen Natur geführt.

Sündenfall und Konsequenzen:

  • Genesis (Bibel): Der Sündenfall geschieht durch Ungehorsam gegenüber Gottes Gebot, vom Baum der Erkenntnis nicht zu essen. Die Folge ist die Vertreibung aus dem Paradies und das Leben unter Fluch (Schmerz, Tod, harte Arbeit).
  • Das Wesen der Archonten: Die Erkenntnis wird als Befreiung und Wiederentdeckung der göttlichen Natur dargestellt. Der „Fall“ ist eher eine Befreiung von der Unwissenheit und der Illusion der Archonten.

Bedeutung der Erkenntnis (Gnosis):

  • Genesis (Bibel): Erkenntnis wird als problematisch dargestellt, da sie zur Sünde und zum Verlust des Paradieses führt.
  • Das Wesen der Archonten: Erkenntnis wird als positiv und befreiend gesehen, als Mittel zur Überwindung der Täuschung durch die Archonten und zur Rückkehr zur göttlichen Quelle.

Während die Genesis-Geschichte eine traditionelle, monotheistische Perspektive auf die Schöpfung und den Sündenfall bietet, betont die gnostische Erzählung aus „Das Wesen der Archonten“ die Dualität zwischen der göttlichen und der materiellen Welt sowie die Bedeutung der Erkenntnis als Weg zur Befreiung.

In gnostischen Texten, wie dem „Apokryphon des Johannes“, wird eine alternative Sichtweise auf die Rolle von Jesus und die Schöpfungsgeschichte präsentiert. In dieser Version hilft die göttliche Christusgestalt Eva, vom Baum der Erkenntnis zu essen, um die Menschheit zu erleuchten und zu befreien.